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Berufsunfähigkeits - Vorsorge
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Berufsunfähigkeit ab 50 %:
Was bedeutet das in der privaten BU-Versicherung?

Nachdenklicher Mann zur 50% Grad BU-Klausel

In der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) spielt die sogenannte 50 %-Regel eine zentrale Rolle. Sie definiert, wann eine versicherte Person als berufsunfähig gilt – nämlich dann, wenn sie ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war (§ 172 VVG), zu mindestens 50 % nicht mehr ausüben kann. Doch was bedeutet das konkret?

Die 50 %-Regel einfach erklärt

Die meisten BU-Versicherungsverträge enthalten diese Schwelle als Voraussetzung für die Zahlung der BU-Rente. Das heißt: Ist man gesundheitlich so eingeschränkt, dass man nur noch weniger als die Hälfte der bisherigen beruflichen Tätigkeit ausführen kann, liegt laut Vertrag eine Berufsunfähigkeit vor. Aber Achtung, da es keine gesetzliche Regelung zum BU-Grad gibt, kann der vereinbarte BU-Grad abweichen, z. B. das der Leistungsanspruch auf die volle BU-Rente erst ab 70 % besteht. Die meisten Versicherungen haben jedoch den 50 % BU-Grad vereinbart.

Der Maßstab: Die „prägende Tätigkeit“

Wichtig bei der Bewertung ist die konkrete Ausgestaltung des Berufs, wie er zuletzt vor Eintritt der gesundheitlichen Einschränkungen ausgeübt wurde. Dabei kommt der prägenden Tätigkeit besondere Bedeutung zu – das ist jener Teil der Arbeit, der den Beruf im Wesentlichen ausmacht. Es geht also nicht um Nebentätigkeiten oder seltene Aufgaben, sondern um den typische Tagesablauf.

Zeitanteil ist entscheidend

Versicherer und Gerichte schauen genau hin: Wie viel Zeit wurde wofür aufgewendet? Die Rechtsprechung verlangt eine qualitative und quantitative Bewertung der Berufsausübung. Der Versicherer muss die Berufsunfähigkeit anhand der Tätigkeiten bewerten, die tatsächlich prägend waren – nicht theoretisch mögliche Alternativen.

Beispiel: IT-Systemadministrator - keine Konzentration

Saarländisches OLG, Urteil vom 16.07.2021 - 5 U 107/18
Aufgrund psychisch bedingter Ganzkörperschmerzen konnte der IT-Systemberater seinen Beruf nicht mehr im erforderlichen Umfang ausüben. Insbesondere deswegen, weil seine berufsprägende Tätigkeit – die jederzeitige Verfügbarkeit zur Störungsbeseitigung – nicht mehr leisten kann. Die „prägenden Tätigkeiten“ (z. B. flexible Reaktion auf Störungen, hohe Konzentrationsanforderung, Außeneinsätze) machten einen großen Teil des Berufsalltags aus –auch wenn sie zeitlich nur teilweise anfielen. Die Berufsunfähigkeit kann auch dann vorliegen, wenn die Einschränkung auf psychische Erkrankungen ohne objektiv messbare Befunde beruht, solange die Beschwerden fachärztlich und sachverständig nachvollziehbar bestätigt sind.

Beispiel: Hausfrau - schwere Einkäufe nicht möglich

BGH 19. Juli 2017, IV ZR 535/15BGH
Auch bei körperlichen Tätigkeiten zählt nicht nur der Zeitanteil, sondern ob eine Tätigkeit (z. B. schweres Tragen) untrennbarer Bestandteil des Gesamtberufs ist. Die Versicherte war gesundheitlich nicht mehr in der Lage, schwere Einkäufe zu erledigen, obwohl sie sonstige Haushaltstätigkeiten noch ausführen konnte. Obwohl das Einkaufen weniger als 10 % der Arbeitszeit ausmachte, sah der BGH darin eine prägende Tätigkeit – ohne sie war die Berufsausübung insgesamt nicht mehr möglich.

Beispiel: Kosmetikerin - Epilepsie-Erkrankung

OLG Saarbrücken 19.12.2013, 5 W 69/13
Eine Kosmetikerin und Fußpflegerin litt an idiopathischer Epilepsie mit häufigen, sekundenlangen Aussetzern. Diese führten dazu, dass sie während Behandlungen die Kontrolle verlor – etwa Werkzeuge fallen ließ oder krampfhaft festhielt. Dabei bestand konkrete Verletzungsgefahr für Kundinnen und Kunden. Obwohl diese Aussetzer nur wenige Sekunden dauerten und andere Tätigkeiten wie Wareneinkauf oder Reinigung weiterhin möglich waren, erkannte das Gericht eine Berufsunfähigkeit an. Begründung: Der Umgang mit Werkzeugen war eine prägende Verrichtung der Tätigkeit – ohne diese war ein sicheres und sinnvolles Arbeitsergebnis nicht möglich. Das Gericht stellte klar: Bei prägenden Tätigkeiten ist der zeitliche Anteil unerheblich. Entscheidend ist, ob der Ausfall dieser Tätigkeit die Berufsausübung insgesamt unzumutbar oder unmöglich macht.

Beispiel: Vertriebsleiter - fehlende Fahrtauglichkeit

OLG Karlsruhe,  Urteil vom 15.06.2021, Az.: 12 U 36/21OLG Karlsruhe

Ein ehemaliger Vertriebsleiter machte Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend. Aufgrund einer fortschreitenden Augenerkrankung konnte er nicht mehr sicher Auto fahren, was aber ein zentraler Bestandteil seiner beruflichen Tätigkeit war: Er fuhr jährlich etwa 50.000–60.000 km, um Filialen und Franchisenehmer zu betreuen.

Das OLG Karlsruhe stellte klar, dass die fehlende Fahrtauglichkeit bei einer Tätigkeit mit starkem Außendienstanteil eine Berufsunfähigkeit begründet – auch wenn Autofahren formal nur ein Teilaspekt ist. Entscheidend war, dass es sich um eine prägenden, untrennbaren Bestandteil des Gesamtberufs handelte.

Beispiel: Tennislehrer - Erkrankung des rechten Handgelenks

OLG Saarbrücken 12.02.2020, AZ: 5 U 42/1912.02.2020, AZ: 5 U 42/19

In einem Fall hat das OLG Saarbrücken ebenfalls darüber zu entscheiden gehabt, ob Berufsunfähigkeit eines selbstständigen Tennislehrers vorliegt. Maßgeblich war u. a. in diesem auch, was die prägende Tätigkeit ist.

"Der konkret ausgeübte Beruf setzt sich regelmäßig aus einer größeren Zahl von Einzelverrichtungen zusammen, die von unterschiedlichem Gewicht sein können. Kann ein prägendes Kernelement der Berufstätigkeit nicht mehr bewältigt werden, entfällt die Fähigkeit zur Ausübung des Berufs insgesamt, selbst wenn der hierauf entfallende zeitliche Aufwand weniger als die Hälfte der gesamten Tätigkeit in Anspruch genommen haben sollte (vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Auflage 2020, Kapitel 5, Rdn. 54 f.; Senat, Urteil vom 27.03.2019 – 5 U 44/17 – BeckRS 2019, 13616)."

VORTEILE des 50 %-Grad
  • Klare Schwelle: Die Grenze ist einfach nachzuvollziehen und schafft Transparenz.

  • Frühzeitige Absicherung: Man erhält bereits bei einer deutlichen, aber nicht vollständigen Einschränkung Leistungen.

  • Anpassbar auf individuellen Beruf: Die konkrete Tätigkeitsbeschreibung schützt gerade spezialisierte Berufsgruppen.

NACHTEILE des 50 %-Grad
  • Beweislast liegt beim Versicherten: Man muss genau darlegen, welche Tätigkeiten vorlagen und in welchem Umfang sie ausgeführt wurden.

  • Kein Schutz bei schleichender Reduktion: Wer aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf allmählich anpasst, ohne frühzeitig zu reagieren, könnte Probleme bei der Leistungsprüfung bekommen (siehe leidensbedingten Berufswechsel und Teilzeitklausel).

  • Diskussionen mit dem Versicherer: Oft gibt es Streit darüber, ob wirklich 50 % der prägenden Tätigkeit weggefallen sind.

Fazit

Die 50 %-Regel ist ein zentrales Element der privaten BU-Versicherung und bietet frühzeitigen Schutz bei gesundheitlichen Einschränkungen. Entscheidend ist dabei die prägende Tätigkeit – also das, was den Beruf im Kern ausmacht. Versicherte sollten daher ihre Tätigkeit möglichst genau dokumentieren, um im Leistungsfall gut vorbereitet zu sein. Im Leistungsfall selbst achten wir besonders darauf, dass die Beweisführung so geführt wird, dass es auch in der künftigen Nachprüfung wenig Probleme gibt.

Bert Heidekamp
Autor, Versicherungsfachwirt- und Makler, Analyst, BDSF-Sachverständiger für biometrische Risiken, Gründer des QUALITÄTS AWARD


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