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Mythos Bereicherungsverbot: Was wirklich bei der BU gilt

Warum Versicherte mehr als ihr Einkommen absichern dürfen – und das völlig legal
In der Welt der Versicherungen halten sich einige Mythen hartnäckig – selbst unter Fachleuten. Einer der häufigsten Irrtümer betrifft die private Berufsunfähigkeitsversicherung (BU): Immer wieder wird behauptet, dass es ein sogenanntes Bereicherungsverbot gäbe – also die Pflicht, wirtschaftlich „neutral“ zu bleiben und durch die Versicherungsleistung keinen finanziellen Vorteil zu erlangen. Doch diese Annahme ist falsch.
Die Berufsunfähigkeitsversicherung ist keine Schaden-, sondern eine Summenversicherung
Entscheidend für das Verständnis ist die Abgrenzung zwischen Schadenversicherung und Summenversicherung. In der Schadenversicherung – etwa bei der Hausrat- oder Kfz-Versicherung – darf die Entschädigung den tatsächlich entstandenen wirtschaftlichen Schaden nicht übersteigen. Dieser Grundsatz ergibt sich aus dem Bereicherungsverbot, das sich sinngemäß aus § 75 VVG herleiten lässt. Ziel ist es, ungerechtfertigte Vorteile und damit Fehlanreize (Stichwort Moral Hazard) zu vermeiden.
Die Berufsunfähigkeitsversicherung funktioniert jedoch anders. Sie ist eine klassische Summenversicherung: Die versicherte Leistung – also die BU-Rente – wird bei Eintritt des Leistungsfalls in vereinbarter Höhe gezahlt, unabhängig vom tatsächlichen Einkommensverlust. Juristisch erlaubt dies der Grundsatz der Vertragsfreiheit gemäß§ 1 VVG.
Mehrere BU-Verträge? Kein Problem.
Ein weiterer Irrglaube: Es sei nicht erlaubt, mehrere BU-Verträge gleichzeitig abzuschließen. Auch das ist unzutreffend. Weder das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) noch die höchstrichterliche Rechtsprechung enthalten ein Verbot der Mehrfachversicherung in der BU.
Versicherte dürfen also mehrere Policen parallel besitzen – zum Beispiel bei unterschiedlichen Gesellschaften – solange bei jedem Vertrag separat die Berufsunfähigkeit gemäß den jeweiligen Bedingungen nachgewiesen wird. Eine Anrechnung der Leistungen untereinander findet nicht statt. Die BU-Versicherung kennt kein gesetzliches oder vertragliches Leistungslimit auf Grundlage des vorherigen Einkommens.
Angemessenheitsprüfung: Nur beim Abschluss relevant
Zwar existiert kein Bereicherungsverbot im Leistungsfall, wohl aber eine sogenannte finanzielle Angemessenheitsprüfung – allerdings nur beim Abschluss des Vertrags. Damit prüfen Versicherer, ob die beantragte BU-Rente in Relation zum aktuellen Einkommen steht. Diese betriebswirtschaftlich motivierte Maßnahme soll verhindern, dass die versicherte Leistung so hoch ist, dass ein Anreiz zur Leistungserschleichung entstehen könnte.
Beispiel:
Ein Arbeitnehmer mit einem Nettoeinkommen von 1.800 Euro möchte eine BU-Rente von 2.500 Euro absichern. Die meisten Versicherer würden dies ablehnen oder auf eine angemessene Höhe reduzieren. Als Faustregel gelten etwa 60–70 % des Nettoeinkommens als finanziell vertretbar.
Besonders interessant: Für bestimmte Berufsgruppen wie Schüler, Studenten, Azubis oder Hausfrauen/-männer gelten Sonderregelungen. Diese können auch ohne Einkommen BU-Renten bis zu 1.000 oder sogar 2.500 Euro absichern – je nach Anbieter.
Was passiert bei Einkommensänderung nach Vertragsabschluss?
Nach Vertragsabschluss ist das ursprüngliche Einkommen für die Leistung irrelevant. Wer später etwa durch Teilzeit, Elternzeit oder berufliche Umorientierung weniger verdient, muss dies nicht dem Versicherer melden – sofern im Vertrag keine explizite Obliegenheit zur Einkommensmeldung enthalten ist.
§ 28 VVG regelt vertragliche Obliegenheiten. Fehlt eine solche, hat eine nicht gemeldete Einkommensänderung keine rechtlichen Konsequenzen.
Auch bei dynamischen Erhöhungen der BU-Rente (z. B. durch jährliche Anpassungsklauseln) besteht keine Pflicht zur Mitteilung, selbst wenn die versicherte BU-Rente das aktuelle Einkommen deutlich übersteigt – es sei denn, der Vertrag sieht dies ausdrücklich vor.
BU-Leistung trotz Teilzeit oder Wiedereinstieg? Ja – in voller Höhe.
Viele glauben, dass sie ihre BU-Rente verlieren, sobald sie wieder arbeiten. Das stimmt so pauschal nicht. Maßgeblich ist, ob weiterhin mindestens 50 % Berufsunfähigkeit im Sinne der Vertragsbedingungen vorliegt – und das wird in der Regel an der Arbeitszeit und nicht nur am Einkommen bemessen.
Beispiel:
Eine Versicherte arbeitete vor Eintritt der BU 40 Stunden pro Woche bei 3.000 Euro Nettoeinkommen. Zwei Jahre später kehrt sie in Teilzeit zurück und arbeitet 20 Stunden wöchentlich bei 1.600 Euro Verdienst. Obwohl ihr Einkommen mehr als 50 % des früheren beträgt, liegt die Arbeitszeit bei exakt 50 %. In diesem Fall kann die volle BU-Rente weiterfließen.
BU-Rente und gesetzliche Erwerbsminderungsrente – einander ergänzend
Die private BU-Rente wird nicht auf die gesetzliche Erwerbsminderungsrente (§§ 43 ff. SGB VI) angerechnet. Beide Leistungen beruhen auf unabhängigen Systemen. Wer die Voraussetzungen für beide erfüllt, kann sie auch gleichzeitig und in voller Höhe beziehen.
Fazit: Mehr Wissen – mehr Sicherheit
Die Annahme eines Bereicherungsverbots in der BU ist ein weitverbreitetes Missverständnis. Die BU ist eine Summenversicherung, deren Leistungen nicht an das konkrete Einkommen gekoppelt sind. Weder die Anzahl der Verträge noch die Höhe der vereinbarten Renten unterliegen gesetzlichen Beschränkungen – solange bei jedem Vertrag die Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind.
Praxistipp für Versicherte:
Wer seine BU-Police strategisch plant und die vertraglichen Rahmenbedingungen kennt, kann sich mit mehreren Verträgen flexibel und bedarfsgerecht absichern – ohne Angst vor Leistungskürzungen oder versteckten Fallstricken. Kontaktieren Sie uns bei weiteren Fragen rund um die BU-Absicherung.

Bert Heidekamp
Autor, Versicherungsfachwirt- und Makler, Analyst, BDSF-Sachverständiger für biometrische Risiken, Gründer des QUALITÄTS AWARD






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